
Lenchens Geheimnis Eine poetische, fast unbekannte Erzählung von Michael Ende
Lenchens Eltern machen ständig Ärger: Immer wollen sie genau das Gegenteil von dem, was Lenchen will. Das findet Lenchen gemein und ungerecht. Um dieses Problem zu lösen, sucht sie eine Fee auf und bittet diese, ihre Eltern zu verzaubern. Von da an werden ihre Eltern jedes Mal, wenn sie Lenchen widersprechen, kleiner und kleiner. Großartig, endlich kann Lenchen sich durchsetzen! Jetzt gibt es Zeichentrickfilme statt Nachrichten, Milch und Kekse zum Abendessen und das lästige Zähneputzen hat sich auch erledigt. Doch schon bald zeigen sich die Schattenseiten der verkehrten Welt. Lenchen überlegt, ob der Zauber nicht doch lieber wieder rückgängig gemacht werden sollte und steht plötzlich vor einer schwerwiegenden Entscheidung.
Wenn Eltern ungehorsam sind
Die kleine Helena, genannt Lenchen, ist ein ausgesprochen umgängliches und liebenswürdiges Kind. Vor allem dann, wenn ihre Eltern vernünftig sind und auf sie hören. Nur tun sie das leider fast nie. Und so bekommt Lenchen kein viertes Eis, muss sich ihre Schuhe selber holen, statt dass ihre Mutter sie ihr bringt und in den Ferien fahren sie nicht ans Meer, sondern in die Berge. So kann das nicht weitergehen, beschließt Lenchen eines Tages. Doch wer könnte ihr am besten bei ihrem Problem helfen? Das kann wohl nur eine Fee, überlegt sich Lenchen und steht gleich darauf vor der nächsten Schwierigkeit: Wie und vor allem wo soll man denn in einer modernen Großstadt eine Fee finden? Lenchen läuft durch die Straßen und entziffert, was auf den Schildern an den Häusern steht, aber von einer Fee ist weit und breit nichts zu lesen.

Das seltsamste Haus der Welt
Unterwegs begegnet Lenchen einem Polizisten. Sie fragt ihn, ob er vielleicht eine Fee kenne und tatsächlich weiß der Uniformierte Rat. Da gibt es doch Franziska Fragezeichen – Beratung in allen Lebensfragen, jede Art von Zauber, Verwünschungen und Erlösungen nach Maß – und die wohnt in der Regenstraße 13. Dann erklärt der Polizist noch, wie Lenchen da hinkommt. „Und nimm einen Regenschirm mit“, ruft er ihr noch zu, doch da ist Lenchen schon losgelaufen. Ganz durchnässt kommt sie in der Regenstraße an. Das Haus Nummer 13 ist das seltsamste Haus, das Lenchen je gesehen hat – sofern überhaupt von einem Haus die Rede sein kann. Denn vor ihr steht einfach so, mitten im Freien, eine Treppe, die fünf Stockwerke zu einem Dachgeschoss hinaufführt, das irgendwie über der Treppe befestigt zu sein scheint. Weil auf dem Schild steht „Eintreten ohne anzuklopfen“ macht Lenchen das auch.
Hilfe von Frau Fragezeichen
Langsam öffnet Lenchen die Tür – und steht direkt an einem See. In weiter Ferne erkennt sie eine Insel und da in ihrer Nähe ein Kahn am Ufer liegt, steigt sie kurz entschlossen ein und fährt zur Insel hinüber. Dort angekommen stellt sie überrascht fest, dass der Strand nicht aus Sand besteht, sondern aus den Dielen eines ganz gewöhnlichen Zimmerbodens. Sie steht jetzt in einem dunkeln Raum, dem ein paar Kerzen Licht spenden. An einem runden Tisch sitzt eine Frau mit einem modischen Kurzhaarschnitt und trinkt Kaffee. Sie fordert Lenchen auf, sich zu setzen. Wieder ist Lenchen verwundert, denn Franziska Fragezeichen sieht eigentlich ganz normal aus. Nun gut, zwar hat sie sechs Finger, doch ansonsten sieht sie ganz normal aus. Seufzend berichtet Lenchen von ihrem Leid, dass die Eltern nie auf sie hören und wie schwer es ist, damit umzugehen. Schließlich sind die Eltern in der Überzahl und auch viel größer als Lenchen. „Wenn sie doch nur kleiner wären als ich, vielleicht halb so groß, dann wäre das mit der Überzahl bestimmt kein Problem mehr“, überlegt sie laut. Franziska Fragezeichen versteht Lenchen nur zu gut. Sie gibt ihr zwei Zauber-Zuckerwürfel mit, die Lenchen ihren Eltern ins Getränk geben soll. Die Eltern würden davon keinen Schaden nehmen, aber jedes Mal, wenn sie Lenchen nicht gehorchen, würden sie nur halb so groß wie vorher werden. Lenchen braucht auch nichts dafür zu bezahlen. Die erste Beratung ist immer umsonst, aber für die zweite, so erklärt Franziska Fragezeichen, müsse man einen sehr hohen Preis zahlen. Das macht Lenchen nichts aus – sie braucht ja nur die eine.

Problem gelöst – oder?
Nach einem Geräusch, das so klingt, als würde man den Korken aus einer Flasche ziehen, steht Lenchen plötzlich wieder zu Hause im Wohnzimmer. Kurz kommt ihr das alles wie ein Traum vor, aber sie hat ja die zwei Zuckerwürfel in der Hand. In einem unbeobachteten Moment gibt sie die Würfel in die Tassen ihrer Eltern und wartet gespannt, was passiert. Zunächst bleibt alles ganz normal, bis es zur ersten Meinungsverschiedenheit kommt. Nach einem zischenden Geräusch ist Vater nur noch so groß wie ein Zwerg. Kurz darauf ereilt es auch die Mutter. So nimmt für die Eltern das Unheil seinen Lauf; für Lenchen hingegen wird es besser und besser. Was immer Lenchen befiehlt, die Eltern fügen sich dem. Sie sehen Zeichentrickfilme statt Nachrichten, zum Abendessen gibt es Milch und Kekse und endlich kann sie, ohne die Zähne zu putzen, ins Bett gehen. Doch schnell erkennt Lenchen, dass es recht unangenehme Nachteile hat, so winzige Eltern zu haben. Wer soll sie denn bei einem Gewitter trösten? Wer soll sie nach der Schule zu Hause hereinlassen und wer das Mittagessen kochen (Sardinen aus der Büchse sind auf Dauer auch nicht so das Wahre)? Mit einem Mal fühl Lenchen sich sehr einsam. Ob sie vielleicht doch eine zweite Beratung bei Franziska Fragezeichen braucht? Als Lenchen erfährt, welchen Preis sie für die zweite Beratung aufbringen muss, steht sie vor einer schwerwiegenden Entscheidung. Ihre Zwickmühle scheint immer größer zu werden und auch die Zeit sitzt ihr im Nacken. Kann sie es schaffen, dass wieder alles normal wird?
Entspannt im Alltag
Lenchen ist ein Kind wie viele andere. Ein Kind, mit eigenen Vorstellungen und Wünschen. Allerdings sind die oft ganz anders, als die der Eltern und können nicht immer erfüllt werden. Für Kinder ist das meistens eine frustrierende Situation, auf die sie mit Trotz oder Wut reagieren. Lenchen aber geht das Ganze eher pragmatisch an und sucht nach einer Lösung für ihr Problem. Ihre pfiffige Art macht sie sehr sympathisch und Kinder können sich wohl gut in ihre Lage versetzen. Aber auch Eltern können sich in der Geschichte wiederfinden; schließlich gehören zu Auseinandersetzungen zwei Parteien.
Mit „Lenchens Geheimnis“ hat Michael Ende also ein ganz alltägliches Thema aufgegriffen, das er poetisch, fantasievoll und gut durchdacht angepackt hat. Letztlich machen sowohl Lenchen, als auch ihre Eltern eine wertvolle Erfahrung: Lenchen stellt fest, dass mit Selbstbestimmung auch Verantwortung einhergeht und ihre Eltern lernen, Lenchen auch mal etwas zuzugestehen. Beide Seiten erkennen, dass Widerspruch mitunter mal dazugehört, es kommt nur darauf an, aus welchem Grund und in welchem Maß er erfolgt und vor allem, wie er vermittelt wird.
Auf eine kleine Erklärung hin, kann man sich nämlich leichter einsichtig zeigen, als auf ein kurz angebundenes, verärgertes „Nein!“. Die Botschaft der Geschichte stimmt also nachdenklich, ist praxisnah und kindgerecht. Mit Herz und Humor erzählt, macht es viel Spaß, sich Lenchens Abenteuer anzuhören. Ihre Erlebnisse können dann als Anlass genutzt werden, um sich mit den Kindern über das Thema auszutauschen und vielleicht auch selbst einmal in sich zu gehen. Denn eigentlich ist Endes Geschichte ein kleines Plädoyer für mehr Gelassenheit und Kompromissbereitschaft. Kinder sollten lernen, dass man mal auf etwas verzichten oder mal auf Kompromisse eingehen muss. Eltern ihrerseits könnten versuchen, sich öfter mal auf den Nachwuchs einzulassen und ihm etwas Nachgiebigkeit vorzuleben. Auch das sind wichtige Eigenschaften. Und wenn beide so aufeinander zugehen, ist das Ergebnis bestimmt ein entspannteres Miteinander.
Zwei Großmeister der Literatur
Michael Ende
Michael Ende (1929 – 1995) wurde in Garmisch geboren und wuchs in München auf. Sein Vater war der surrealistische Maler Edgar Ende. Aufgrund der Kriegswirren konnte Ende erst 1948 seinen Schulabschluss machen. Anschließend besuchte er die Falckenberg–Akademie für Darstellende Kunst in München, an der er 1950 seinen Abschluss erlangte. Danach arbeitete er an verschiedenen Theatern und verfasste nebenher erste eigene Texte für politische Kabaretts. Ab 1954 arbeitete er für acht Jahre als Filmkritiker beim Bayrischen Rundfunk. Seine eigenen Theaterstücke blieben jedoch erfolglos: Zwölf Verlage lehnten sein Manuskript „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ ab, bis es schließlich der Thienemann Verlag 1960 veröffentlichte.
Das Buch wurde mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet und gewann durch die Marionetten-Stücke der „Augsburger Puppenkiste“ noch mehr an Bekanntheit. Der Nachfolgeroman „Jim Knopf und die Wilde 13“ erschien 1962. 1970 zog Ende mit seiner ersten Frau nach Italien und schrieb dort den Roman „Momo“. Dieser wurde 1985 verfilmt. Dabei wirkte Ende als Drehbuchautor mit und war zudem in einer kleinen Nebenrolle zu sehen. Mit „Die unendliche Geschichte“ schuf Ende 1979 vermutlich sein bekanntestes Werk, das von dem Regisseur Wolfgang Petersen verfilmt wurde. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet er gegen Ende der 80er Jahre Mariko Satō, welche ein paar seiner Werke ins Japanische übersetzt hatte. „Lenchens Geheimnis“ erschien 1991. Nur vier Jahre später erlag Ende mit 65 Jahren einer Krebserkrankung und wurde auf dem Münchener Waldfriedhof beerdigt. Seine Geschichten aber leben weiter. Bisher wurden die Werke von Michael Ende in 45 Sprachen übersetzt. Sie erreichen eine Gesamtauflage von über 20 Millionen Exemplaren und berühren noch heute viele, viele Herzen.
Gert Heidenreich
Gert Heidenreich wurde 1944 in Eberswalde geboren und wuchs in Darmstadt auf, wo er auch sein Abitur erlangte. In den 60er Jahren studierte er überwiegend in München alte und neue deutsche Literatur, Theaterwissenschaft, Soziologie und Philosophie. Gemeinsam mit anderen Künstlern gründete er 1969 das Münchener Theater in der Kreide. Von 1967 bis 1983 veröffentlichte er neben seiner Arbeit als Theater-Autor journalistische und publizistische Berichte für Rundfunkanstalten, Zeitungen und Magazine, etwa für „Die Zeit“, die „Süddeutsche Zeitung“, „Geo“ und „Merian“. Für seine Reportagen bereiste er Nord-, West- und Zentralafrika; zweimal durchquerte er die Sahara.
Von 1998 bis Anfang der 2000er Jahre kamen zahlreiche weitere (Lese)Reisen im Auftrag des Goethe-Institutes hinzu. Zudem übersetzte Heidenreich einige literarische Werke aus dem Amerikanischen, Britischen und Kasachischem. Als Sprecher für Hörbuchverlage und Fernsehdokumentationen ist Heidenreich seit 1972 tätig. Zu den bekanntesten seiner eingesprochenen Arbeiten zählen Der Herr der Ringe von J.R.R. Tolkien, Der Name der Rose von Umberto Eco, Der große Gatsby von F. Scott Fitzgerald und weitere Werke von Michael Ende.
Von 1991 bis 1995 war Heidenreich Präsident der deutschen Schriftstellervereinigung P.E.N und Mitte der 2000er Jahre Direktor der Abteilung Literatur in der Bayrischen Akademie der Schönen Künste. Sein Wirken wurde vielfach ausgezeichnet: Heidenreich erhielt zweimal den Adolf Grimme-Preis (1986 und 2016 im Team), den Bayrischen und den Deutschen Filmpreis (2013 und 2014), den Marler Menschenrechtspreis von Amnesty International (2018) und 2019 den Deutschen Hörbuchpreis. Er lebt mit seiner Frau in Oberbayern.

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